In-dividuum

In-dividuum

„Ein Mensch ist zu schade, Interessen zu dienen“

                                        Eugen Drewermann

Individuum kommt vom lat. indīviduus ‘ungetrennt bleibend, ungeteilt, unzertrennt, unteilbar’. Es ist das kleine Ich, das viele sicherlich mit dem Ego verwechseln und auf dem Altar der Anpassung opfern. Das kleine Ich ist vom Aussterben bedroht wie ein seltenes Tier, denn ein in seinem Inneren ungeteilter Mensch, ein Mensch aus einem intakten Körper-Ich und Ich, kommt immer seltener vor. Das Individuum hat es heute schwer, denn es wird permanent und von allen Seiten – oft höchst subtil – bedrängt und bekämpft. Eltern wollen es frühzeitig er-ziehen, dann Lehrer, der Staat und selbst Spirituelle wollen es zähmen. Dazu kommt, dass es nicht viele sind, die in der Öffentlichkeit das Individuelle verteidigen, wo es doch eine Verteidigung bitter nötig hat. Wie Eugen Drewermann in „Das Individuelle gegen das Normierte verteidigen. Zwei Aufsätze zu Hermann Hesse“ (1995) bemerkt, wird der Einzelne nicht nur kleingeredet, sondern auch kleingeschrieben:

„Der einzige, der den Einzelnen (nach der Dudenrechtschreibung fälschlich klein geschrieben) wirklich noch braucht, ist der Einzelne selber; dann freilich auch alle anderen. Denn so viel ist klar: nur das einzelne Tier, nur der einzelne Mensch vermag zu leiden, zu lieben, zu lachen, zu träumen, zu tanzen und glücklich zu sein; Gedanken, ob richtige oder falsche, Gefühle, ob moralische oder unmoralische, Leidenschaften, ob edle oder kriminelle, Visionen, ob prophetische oder paranoische, trägt in sich ganz allein das kleine Ich des Einzelnen. Nur in ihm malen sich Himmel und Hölle, spiegeln sich Sterne und Steine, kondensieren Milchstraßen und Meere zu Orten der Ordnung und Bildern der Sehnsucht. Ohne das Individuum gibt es weder den Ernst der Entscheidung noch die Fähigkeit zur Reue, weder die Trauer des Tragischen noch den Trost der Erneuerung, weder die Angst vor der Einsamkeit noch den Anfang wahrer Gemeinsamkeit. Nichts scheint wichtiger, als in einer Zeit, die sich zunehmend des Einzelnen zu entledigen scheint, den Einzelnen gegen die Zeit zu verteidigen.“ (ebd., S. 8f.)

Es ist stets der einzelne Mensch, in dem ein uralter Kampf zwischen der Anpassung/ Selbstleugnung und der Selbstfindung stattfindet. Leider kann er auf wenig bis gar keine strukturelle Hilfe von außen zählen, denn gängige Strukturen, Organisationen und Institutionen haben wenig Gefallen an einem Individuum. Der Mensch soll ja zweckorientiert sein und bleiben, nicht ein In-dividuum. Denn ein Individuum denkt und handelt aus Selbst-Verantwortung und besteht auf Selbst-Treue. Damit ist es natürlicherweise nicht-kontrollierbar, nicht-normierbar und „nicht-verzweckbar“ (ebd., S. 21). Das will offenbar kaum jemand. Und trotzdem gehe ich das Risiko ein und nehme den Weg der Selbstfindung. Auch wenn das Verkehrsschild warnt: „Dieser Weg wird nicht geräumt und nicht gestreut. Benutzung auf eigene Gefahr!“

 

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